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The Voice of IoT. April 2021

Internet of Things – oder doch eher LAN of Things?

Das Internet der Dinge. Was wurden uns für die Logistik nicht alles für Vorteile versprochen. Aber was davon ist eigentlich bislang wahr geworden? Eindrücke aus der Sicht eines Supply Chain Managers
Mario Bruggmann. Head of Global Supply Chain Development. Jakob Müller Holding AG. Schweiz

Smart Warehouse

Als ich 2010 am Fraunhofer IML eines meiner Studienmodule absolvierte, war das Internet der Dinge noch ein Ausdruck für Tekkies, aber auf dem Campus in Dortmund bereits sicht- und erlebbar. In einer grossen Versuchsanlage fuhren Lagershuttles umher, holten sich Kisten aus Regalen und fuhren diese zu diversen Rüstplätzen, an welchen dann Ware entnommen werden konnte. Das besondere an der Sache? Es gab keine zentrale Steuerung. Es handelte sich um ein IoT-System. Die Shuttles waren intelligent und holten sich selbständig sowohl die Kisten mit der Ware wie auch ihren nächsten Auftrag, sobald der vorhergehende abgeschlossen war. Sie waren programmiert einen effizienten Fahrweg zu nehmen und miteinander zu kommunizieren. Ein effizienter Fahrweg musste nicht unbedingt heissen den schnellsten. Falls die Zielposition, also z.B. die entsprechende Entnahmestelle der Ware, noch besetzt war, wusste der Shuttle, dass er sich Zeit lassen konnte und fuhr gegebenenfalls einen etwas längeren Weg um Platz für andere Shuttles zu lassen, die mehr „im Stress“ waren. Durch Bestückung mit allerlei Sensoren waren die Shuttles in der Lage sich zu orientieren und Kollisionen aus dem Weg zu gehen. Dieses Shuttle-Ballett war ein grossartiges Schauspiel. Das System wurde von Dematic kommerzialisiert und ist heute unter dem Namen „MultiShuttle“ zu erwerben und vielerorts im Einsatz. Meiner Meinung nach, das Beispiel einer wirklich guten Anwendung.

Smart City

Wenn ich an eine Smart City denke, fällt mir automatisch Singapur ein, da ich den Stadtstaat durch viele Jahre Tätigkeit dort ein wenig als zweite Heimat sehe und die Entwicklungen in den letzten 10 Jahren hautnah miterleben konnte. Singapur hat sich schon früh entschlossen eine Smart City zu werden und durch vergleichsweise niedrige Hürden beim Datenschutz kann mit einer Geschwindigkeit und Vernetzung vorgegangen werden, von welcher man in der Schweiz nur träumen kann. Je nachdem sind es dann gute oder schlechte Träume. Singapur überwacht z.B. den Verkehrsfluss schon seit Jahren nahezu vollflächig mit Kameras und Sensoren und leitet den Verkehr entsprechend dynamisch um. Hierbei wird nicht nur auf einen schnellen Verkehrsfluss Wert gelegt, sondern je nach Tageszeit auch der emittierte Lärm bzw. die Reduktion des CO2-Ausstosses priorisiert und durch entsprechende Messstationen überprüft. Smart eben. Und das alles sind nur kleine Beispiele. Da Singapur nicht nur eine Stadt, sondern direkt auch ein Land ist, ist man bereits auf dem Weg eine Smart Nation zu werden. Da sind andere Länder schon durch die schiere Grösse weit davon entfernt.

Smart Shipping

Etwas enttäuschter bin ich von den Resultaten im Grossen. Ich erinnere mich an einen Technologietag vor etwas mehr als 10 Jahren, an welchem die Vertreter der grossen Consultinghäuser sich mit Voraussagen überboten. Damals wurde vorausgesagt, dass ab 2020 (!) alle Schiffscontainer der Welt „smart“ sein sollen, und wir ein grosses IoT bestehend aus Containern, Kränen und Schiffen haben werden, welche die Arbeit quasi alleine erledigen. Der Container würde sich nicht nur selbst beim Kran zur Verladung melden, sondern auch gleich im Zusammenspiel mit diesem dafür sorgen, dass er auf dem Schiff an der richtigen Position steht. Seine korrekte Verankerung würde durch Sensoren überprüft, seinen Zustand (z.B. Luftfeuchtigkeit und Temperatur) sowie seine Position könne er jederzeit an den Besitzer der Ware melden, die sich in seinem inneren befindet. Die Verzollung organisiere der Container auch direkt selbst und ohne die entsprechende Freigabe würde der Kran ihn gar nicht verladen. Probleme im Warenfluss gehörten der Vergangenheit an, da sie entweder durch die IoT-Devices untereinander selbst gelöst oder umgehend einen Alarm generieren würden. Wissend wie viele Container weltweit existieren (mehr als eine halbe Milliarde) und wie schwierig es ist länderübergreifend Standards zu etablieren, habe ich ehrlich gesagt nie geglaubt, dass wir 2020 wirklich ein solches Netz haben werden. Aber ich hätte zumindest ein paar erste Schritte erwartet. In Tat und Wahrheit sehe ich nichts Brauchbares. Einige Unternehmen bieten Smart-Container für Spezialanwendungen an. Diese betrachte ich jedoch nicht wirklich als IoT-Lösungen, da sie lediglich einzelne Sensoren für sich selbst beinhalten, jedoch nicht mit anderen Systemteilnehmern kommunizieren.

Quintessenz

Und da stellt sich für mich die Frage. Ist der Fall mit den Lagershuttles nicht eher ein LAN of Things und die aufstrebende Smart City Singapore wäre dann bestenfalls ein WAN of Things? Ich möchte diese Lösungen auf gar keinen Fall kleinreden oder als einfach bezeichnen, aber so ein richtiges Internet of Things sehe ich einfach noch nicht. Ein „Internet“ ist für mich weltumspannend, weitgehend standardisiert und interoperabel. Solche Anwendungen jedoch sehe ich bislang noch nicht und dies obwohl dass Buzzword „IoT“ nun auch nicht mehr ganz neu ist. Ich glaube also wir werden noch eine ganze Weile brauchen, um eben aus diesen lokaleren Lösungen wirklich grosse zu machen. Hoffentlich sind wir bis dann nicht zu verzettelt in zu vielen verschiedenen technologischen Ansätzen, damit es für die dringend notwendige Standardisierung nicht bereits zu spät ist. Andererseits bedeutet der aktuelle Stand auch, dass die Potentiale von IoT noch längst nicht ausgeschöpft sind. Wenn die existierenden Lösungen Schritt für Schritt standardisiert und verbunden sind, werden wir irgendwann auch unsere grossen, globalen Lösungen bekommen. Rom wurde bekanntlich nicht an einem Tag erbaut, und bei aller Liebe für Rom sind viele IoT-Lösungen durchaus noch eine Nummer grösser.

Über Mario Bruggmann

Ursprünglich Elektroniker ist Mario Bruggmann inzwischen seit über 20 Jahren im Supply Chain Management für technische Güter tätig und hat sich im Bereich Logistik und Management breit ausgebildet. Durch seinen Herkunftsmix aus Elektronik und Warenfluss interessiert er sich natürlich für technikgetriebene, innovative Lösungen für alle Anwendungsbereiche der Logistik. Aktuell verantwortet Mario Bruggmann das „Global Supply Chain Development“ für die Industriegruppe Jakob Müller Holding. Daneben amtet er ab und wann als Seminarleiter und engagiert sich immer wieder auch ehrenamtlich für Herzensprojekte, wie z.B. aktuell die Initiative #SocialProcurement, mit welcher er die Arbeit von Einkäufern und Verkäufern mit Hilfe von Social Media vereinfachen möchte.